
Leipzig 2019.
Wir leben in der Zeit der Sollbruchstellenproduktion. Gewisse Dinge aber werden immer seltener. Und wenn der Emailleeimer ein Loch haben wird, wird es keine Kesselflicker mehr geben, sagt Adam.
Wie ist die ganze Situation entstanden. Nach dem Tod der Eltern erbte P. das Haus. Ambivalente Erinnerung machten es P. schwer, das Haus mit seinen Dingen nicht als Ballast zu empfinden.
Nach einem halben Jahr Totenruhe kam der Winter. Was tun mit dem Haus. Während die Grundstückpreise stiegen, der Immobilienmarkt sich entwickelte, entstand eine WG-ähnliche Wohnsituation. Ein bewohntes Haus ist nun mal besser für die Substanz. Eine Lösung auf Zeit.
Immobilienmakler, Notar, unterschreiben, fertig. Die letzten Monate und das klarer werdende Bewusstsein, das hier alles verschwinden wird. So läufts.
Die Sache mit den Dingen.
Die Dinge werden verschwinden. Und eigentlich wussten wir schon die ganze Zeit darum. Vieles ist schon Asche auf einer der Feuerstellen. Viele Dinge wanderten schon in die vordere Garage und von dort in einen Container.
All die Dinge haben einen Sog. Sie ringen dem Betrachter gleichermaßen ungläubiges Lachen und heimeliges Unbehagen ab.
Meine Erinnerungen und Assoziationen flattern wie Falter an den Kellerwänden entlang, ein „substanzloses Bündel an Empfindungen“[1].
Das ist aber erst die vorderste Membran.
Den dünnen roten Draht, aufgerollt in einer Größe, die mit Daumen und Zeigefinger zu bemessen ist, an einem der Deckenträger mit einer blauen Plastikklammer festgesteckt, entdecke ich erst etwa anderthalb Jahre nachdem ich das erste Mal den Keller betreten. Die zunächst empfundene Fremdheit in Anbetracht der Zeugnisse zweier unbekannter Menschenleben hat sich gewandelt zu der tröstlichen Gewahrwerdung des „Anderen“ – in der Zeit und im Selbst.
Der Abschied hat begonnen.
Manche Dinge zeigen sich erst mit der Zeit. Aber die Zeit haftet nicht mehr an den Dingen.
Was das Haus im Bauch trägt.
Alles was es noch sein kann, ist
eine Aufforderung.
[1] Aus „Die Individualität der Dinge – Kultur-, wissenschafts- und technikphilosophische Perspektiven auf die Bestimmung eines Unbestimmbaren“ von Heinwig Lang, Transcript Verlag, 2008